[Werbung. Rezensionsexemplar.]
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Ich muss zugeben, dass ich vom Anfang der Geschichte etwas erschlagen war und erstmal nach ungefähr 50 Seiten eine Pause einlegen musste. Zu dem Zeitpunkt war „Das unsichtbare Band“ von Haneen Al-Sayegh ziemlich niederschmetternd. Dann habe ich aber die Ruhe und innere Kraft gefunden, das Buch zu lesen und konnte irgendwann nicht mehr aufhören und wollte immer mehr über das Schicksal der Protagonistin erfahren.
Die aus dem Libanon stammende Autorin Haneen Al-Sayegh schreibt in poetischen Bildern und erschafft so wahnsinnig kraftvolle Passagen. Bei manchen Büchern, die poetisch daherkommen, wird es mir irgendwann zu viel und es wirkt zu gewollt - das war in diesem Fall zum Glück anders. Die Autorin schafft den literarischen Spagat zwischen Poesie, die getragen wird von Glaube und Religion, und absoluter Klarheit und Direktheit, die im krassen Gegenteil zum Glauben stehen. Aber genau diese raffinierte Gratwanderung finde ich wahnsinnig bewundernswert.
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Im Internet habe ich einmal gelesen, dass diejenigen, die viel reden, ihren Gedanken und Gefühlen entkommen wollen. Doch auf mich, glaube ich, trifft das nicht zu. Beim Sprechen werden meine Gedanken greifbarer und realer. Vielleicht habe ich deshalb all die Jahre geschwiegen, um die Menschen um mich herum nicht zu verletzen.
Zitat S. 113
Aber worum geht es überhaupt? Ganz grob gesagt geht es um die junge drusische Frau namens Amal, die bereits früh von ihrem streng gläubigen Vater verheiratet wird. Amals Geschichte entwickelt sich zu einem Überlebenskampf, sie kämpft um die Autonomie ihres eigenen Körpers, kämpft für ihre Gedanken und Gefühle, sie kämpft erbittert um Bildung und Freiheit und ein Leben, das sich in Amals Augen zu leben lohnt.
„Das unsichtbare Band“ ist kraftvoll, poetisch, dabei nie zu sehr gewollt, sondern irgendwie leichtfüßig, trotz des schweren Themas. Haneen Al-Sayegh widmet sich in ihrem Debüt allen drusischen Frauen, die hier vom Amal verkörpert wird. Sie wirft sich gegen die streng patriarchalischen Strukturen und Prinzipien der Religionsgemeinschaft. Sie gibt drusischen Frauen ein Gesicht und eine Geschichte - vielleicht eine, die wir viel öfter hören und verinnerlichen sollten.
Der Roman ist keine leichte Geschichte, es ist ein einziger Kampf um Selbstbestimmtheit und Freiheit. Die Erzählkunst der Autorin ist dicht und dringt in die Tiefe ein, die die Geschichte einmalig macht. Ich spreche sehr gerne eine Empfehlung für „Das unsichtbare Band“ von Haneen Al-Sayegh aus und hoffe, dass das Buch noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommt.
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Alle Frauen sind miteinander verbunden wie die Wurzeln uralter Bäume, die sich unter der Erdoberfläche ausbreiten und verflechten. Ich hielt an dieser Überzeugung fest, auch wenn mir Frauen einfielen, die ihren Weg aus den Augen verloren und die patriarchalischen, autoritären Vorstellungen übernommen hatten.
Zitat S. 263
Ich danke dem dtv Verlag sehr für das Rezensionsexemplar! ♥️