Klappentext
„Der 12-jährige Théo ist ein stiller, aber guter Schüler. Dennoch glaubt seine Lehrerin Hélène, besorgniserregende Veränderungen an ihm festzustellen. Doch keiner will das hören. Théos Eltern sind geschieden und mit sich selbst beschäftigt. Der Junge funktioniert und kümmert sich um die unglückliche Mutter und den vereinsamten Vater. In ihren Augen ist also so weit alles gut. Doch Théo trinkt heimlich, und nur sein Freund Mathis weiß davon. Der Alkohol wärmt und schützt ihn vor der Welt. Eines Tages wird ihn der Alkohol ganz aufsaugen, das weiß Théo. Doch wer sollte ihm helfen? Hélène, seine Lehrerin, würde es tun, doch wie soll das gehen, ohne dass er die Eltern verrät? Mathis beobachtet das alles voller Angst. Zu gerne würde er sich seiner Mutter anvertrauen, aber Théo ist sein einziger Freund. Und einen Freund verrät man nicht. Außerdem würde er damit auch demjenigen in den Rücken fallen, der den Minderjährigen den Alkohol besorgt. Und der ist es, der das gefährliche Spiel in dem schneebedeckten Park vorschlägt, bei dem Théo bewusst den eigenen Tod in Kauf nimmt.“
Meinung
Nach „Dankbarkeiten“ ist dies nun mein zweites Buch der französischen Autorin Delphine de Vigan. Nach dem Beenden ist klar, dass sie zu einer meiner liebsten Autorinnen werden kann. Mit „Loyalitäten“ hat Delphine de Vigan mal wieder ein Stück großartige Literatur geschrieben!
Delphine de Vigan nimmt ihre Leser an die Hand und nimmt sie mit nach Frankreich, zu unserem 12-jährigen Protagonisten Théo und seinem traurigen Leben — es ist keine große Reise, aber eine überaus Wichtige. Es ist eine Abwärtsspirale, in die wir uns begeben. Wie schwer kann ein zerrüttetes Familienleben sein? Warum sehen viele Eltern das eigentliche Problem nicht oder verschließen wissentlich ihre Augen? Warum müssen immer Kinder die Leidtragenden sein? Wie kann man ihnen Hilfe geben und wer kann ihnen überhaupt helfen?
Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, welche regelmäßig gewechselt werden - vom Ich-Erzähler zum allwissenden Erzählstil. So konnte ich die verschiedenen Denkweisen gut nachvollziehen. Die verschiedenen Charaktere zeigen deutlich, wo die jeweiligen Loyalitäten liegen. Durch den Perspektivwechsel konnte ich schnell einen Zugang zu den Figuren finden, zu einigen wuchs aber meine Antipathie ins Unermessliche! Wie kann eine Mutter ihre eigenen Sorgen denen ihres Sohns vorziehen? Wie kann sie die schwerwiegenden Probleme so ausklammern? Wie kann ein Vater sein eigenes Kind so extrem vernachlässigen und sich selbst dazu?
Théo ist ein liebenswerter Junge, der aber leider zu viel durchmachen muss mit seinen gerade erst 12 Jahren. Er muss sich um sich selbst kümmern und irgendwann auch um seinen Vater, der in völliger Vernachlässigung lebt. Das Leben ist nicht gut zu Théo. Alkohol wird zu seinem besten Freund... Aber dort ist ein kleiner Lichtblick, es ist die Lehrerin Hélène, die sich um Théo große Sorgen macht. Sie sieht die ernst zu nehmenden Veränderungen an ihm. Doch hat sie eine Chance, an Théo zu kommen und kann sie ihm aus dem tiefen Loch herausziehen?
Die Autorin beschreibt ein extrem wichtiges Thema, den Alkoholmissbrauch, der immer noch tabuisiert ist. Dabei schreibt sie mit so glasklaren Worten, die niemals verschönigt werden. Delphine de Vigan schreibt großartig, mit einer Dringlichkeit, die niemals aufdringlich ist und aufzeigt, dass unbedingt ein Umdenken in unserer Gesellschaft nötig ist. Es ist ein Wegweiser, der uns auf den richtigen Pfad bringen soll.
Delphine de Vigan streut Salz in die Wunde, dabei zeigt sie aber nie mit dem Zeigefinger auf den Leser. Das Thema ist gesellschaftskritisch, es zeigt ganz klar die Differenzen in unserer Gesellschaft und dass das Zwischenmenschliche zu oft auf der Strecke bleibt.
Fazit
„Loyalitäten“ von Delphine de Vigan hat mich erschüttert, es hat mich aufgeregt, es hat mich sprachlos zurück gelassen. Eine erschreckende Geschichte über Alkoholmissbrauch in einer grandiosen Sprache, die sehr nahe geht. Der Roman verdient volle 5 Sterne. ⭐️ ⭐️ ⭐️ ⭐️ ⭐️
Les loyautés
Roman
übersetzt von Doris Heinemann
978-3-8321-6503-1
10,00 €
174 Seiten
Taschenbuch
erschienen am 10. März 2020